GENUSS & REISE

Weindurchblick

Georgien – Wiege des Weines. Eine Rückbesinnung auf alte Vinifikationsmethoden.
Autor: 
Alessandro Borioni
, Fotograf: 
Advertorial
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Weindurchblick

Denkt man in unseren Breitengraden an historische Weinnationen, denkt man zuerst wahrscheinlich an Frankreich, Italien oder Spanien. Ein Trugschluss, denn Georgien gilt als Ursprungsland des Weinanbaus mit eigenständigem Charakter, autochthonen Rebsorten und einer Tradition, die über 8.000 Jahre zurückreicht. Von 10.000 Rebsorten weltweit stammen 525 aus Georgien und 62 davon sind für den Weinanbau zugelassen. Eine nähere Untersuchung der Kerne ergab, dass die Reben zu jener Zeit bereits kultiviert wurden und keine Wildform darstellten. Es handelte sich dabei um die Sorte Rkatsiteli, die noch heute angebaut wird.


Ein sehr wichtiges Ritual der georgischen Tafel sind der Trinkspruch Sadgegrdselo und der Redner, Tamada, der die Tafel leitet. Bevor man mit dem Essen beginnt, wählt man eine Person, die das Geschehen am Tisch lenkt und Trinksprüche ausbringt. Dieser sogenannte Tamada entbietet den ersten Trinkspruch, der von den anderen Gästen variiert wird. Er spricht seine Trinksprüche in einer festgelegten Reihenfolge aus. Zuerst trinkt er auf das Wohl der Familie, die eingeladen hat. Auf Georgien und das Andenken der Verstorbenen. Auf Eltern, Freunde, Verwandte, die Vergangenheit oder Zukunft Georgiens.


Soviel zur soziokulturellen Einordnung, doch ist das bezeichnenste Merkmal des georgischen Weinbaus wohl die Vinifikation in sogenannten Qvevris – bauchige Tongefäße zur Herstellung, Reifung und Lagerung von Wein. Die Gefäße sind sehr dünnwandig. Den für eine Befüllung notwendigen äußeren Gegendruck erhalten sie, indem sie in der Erde eingegraben werden. Dadurch entstehen gleichzeitig auch ideale Temperaturbedingungen für den Wein. Archäologische Funde zeigen, dass diese Gefäße in Georgien schon seit 8.000 Jahren benutzt werden und die mit ihnen verbundene Methode zur Weinherstellung eine ununterbrochene Tradition hat. 2013 setzte die UNESCO dieses älteste Verfahren der Weinherstellung auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes. Die Besonderheit dieses Verfahrens besteht darin, dass der Traubensaft zusammen mit der Maische, also mit allen Feststoffen der Fruchtstände wie Schalen, Kernen und Stielen, verarbeitet und nicht wie bei der europäischen Weinausbaumethode frühzeitig von dieser getrennt wird. Durch den langen Kontakt zwischen Wein und Maische entwickelt insbesondere der Weißwein mitunter eine völlig andere Farb- und Geschmackspalette. Dabei ist das Geschmackserlebnis für den an westeuropäische Weine gewöhnten Konsumenten manchmal etwas fremd. Am besten lässt sich der Wein dann genießen, wenn man alle gewohnten Erwartungen vergisst. Das Verfahren zur Herstellung von Qvevri-Weinen ist mit einigen regionalen Besonderheiten in ganz Georgien verbreitet. Nach der Ernte werden die frisch gelesenen Trauben in den Marani gebracht. Der Marani ist der Ort, an dem die Qvevri in der Erde eigelassen sind. Der Marani kann, muss aber nicht immer ein Keller sein. Die Trauben werden gepresst oder nach traditioneller Art in einer länglichen Wanne, dem Saznacheli, mit den bloßen Füßen zerstampft. Der Traubensaft wird in einen Qvevri eingefüllt und die Maische samt Stielen hinzugefügt. Bei der Weißweinherstellung lassen manche Winzer vorher die Maische über Nacht in der Presse stehen, damit der Wein durch die Oxidation eine noch schönere bernsteinartige Färbung bekommt. Die Gärung erfolgt ausschließlich infolge der an den Trauben vorhandenen Naturhefen. Wenn die Gärung abgeschlossen ist, wird der Wein aus dem ersten Qvevri abgeschöpft und in einen neuen kleineren eingefüllt. Dieser Vorgang wird über einen längeren Zeitraum mehrmals wiederholt und der Wein so nach und nach von der Maische befreit, die sich am spitzen unteren Ende der Qvevri absetzt. Bei Weißwein wird dabei der Anteil der Maische anfangs oft ganz bewusst noch sehr hochgehalten, sodass durch den Schalenkontakt der Wein weiter an Aroma gewinnt.


Der Ton macht die Musik

Geor-gi-scher Ton ist der fein-po-rigs-te der Welt. In ihm reift der Wein lang-sam. Der Sauerstoff-Eintrag über die Wan-dun-gen des Gefä-ßes ist gering. Bei den vergrabenen Gefäs-sen schaut nur die Öff-nung aus dem Boden. Sie ist klein angelegt, um den Sauer-stoff-kon-takt gering zu hal-ten. Der Boden übt einen küh-len-den Ein-fluss auf das Gefäß aus. Die Tie-fe und der Ort der Lage-rung der Qve-vris sind daher ent-schei-dend für die lang-sa-me Ver-gä-rung und Rei-fung des Wei-nes. Weine, die aus Tonamphoren kommen, sind nie austauschbar. Deshalb ist das Tongefäss ein wichtiges Instrument der Natural-Wine-Bewegung geworden. Mit ihm sind auch Georgien und seine Qvevri-Kultur pötzlich wieder aktuell – zumindest in der alternativen Weinszene. Aber auch die moderne Weinwirtschaft hat gemerkt, dass sie in dem Streben nach Perfektion an ihre Grenzen kommt. Der Wunsch, die Besonderheiten eines Weines besser zur Geltung zu bringen, hat dazu geführt, dass Holz, Beton, Granit und eben auch Ton eine kleine Renaissance erleben. Manch westliches Weingut hat inzwischen Qvevris aus Georgien in seinem Keller – z. B. Weingut Muster, Werlitsch aus Österreich und Princic aus dem Friaul.