Herr Anzile, Herr Braun, warum ist KI aktuell so ein Hypethema?
KI ist ein Hypethema, weil sie das Potenzial hat, zahlreiche Industrien zu revolutionieren. Von der Automatisierung von Routinetätigkeiten bis hin zur Ermöglichung neuer, innovativer Geschäftsmodelle bietet KI allen Unternehmen die Chance, effizienter, wettbewerbsfähiger und innovativer zu werden. Darüber hinaus hat der technologische Fortschritt der letzten Jahre die Zugänglichkeit und Leistungsfähigkeit von KI-Tools erheblich verbessert. Wir sprechen hier von einer Technologie, auf die jedermann in der Basisversion einfach und kostenlos über einen Webbrowser zugreifen und mit der eigenen Sprache steuern kann.Prompt ist die „natürliche“ Weiterentwicklung von Coding – nur ohne die Notwendigkeit, einen Programmierkurs zu belegen. KI ist nicht nur ein technologischer Durchbruch, sondern auch ein Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie wir Technologie nutzen und verstehen. Die Fähigkeit von Maschinen, zu lernen und Entscheidungen zu treffen, eröffnet bisher unvorstellbare Möglichkeiten. Zusammen mit dem exponentiellen Wachstum der Datenverfügbarkeit und der Rechenleistung hat dies die KI ins Zentrum der technologischen Revolution gerückt. Sie ist nicht nur ein Tool, sondern ein neues Zeitalter des Denkens. Das ist es, was diese Technologie so faszinierend macht.
Wie würden Sie den aktuellen Stand der Implementierung von KI in mittelständischen Unternehmen beschreiben?
Während einige mittelständische Unternehmen bereits Vorreiter bei der Einführung von KI sind, tasten sich viele noch vorsichtig an das Thema heran. Es ist eine Mischung aus Neugier, Vorsicht und dem Streben nach Wettbewerbsvorteilen. Der Schlüssel liegt in der Anpassungsfähigkeit und dem Verständnis, dass KI nicht nur ein weiteres IT-Tool, sondern eine transformative Kraft ist. Viele mittelständische Unternehmen stehen noch am Anfang ihrer KI-Reise. Es gibt ein wachsendes Bewusstsein für die Potenziale, aber auch Unsicherheit, wie man am besten startet und welche Mehrwerte konkret generiert werden können. Vielen Unternehmern fehlt derzeit noch eine Orientierung mit einem klaren Zielbild und einfachen Start Use Cases. Für größere Projekte braucht es natürlich eine etwas dediziertere ROI-Betrachtung. Es gibt aber auch Leuchtturmprojekte und Unternehmen wie die Drogeriekette dm mit ihrem DMGPT, die zeigen, was möglich ist und andere Unternehmen inspirieren.
Was sind die Hauptvorteile, die KI mittelständischen Unternehmen bietet, ganz konkret?
KI ermöglicht es Unternehmen, über ihre bisherigen Grenzen hinauszudenken. Sie kann Prozesse optimieren, personalisierte Kundenerlebnisse schaffen und sogar bei der Produktentwicklung helfen. Es geht nicht nur darum, effizienter zu werden, sondern auch darum, völlig neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen zu erforschen, die bisher undenkbar waren. In Zeiten hoher Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit kann KI dazu beitragen, Ressourcen optimal zu nutzen, Prozesse zu verschlanken und so die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, also ganz konkrete Effizienz- und Rentabilitätssteigerungen zu erzielen. Stellen Sie sich vor, Sie sind Produktmanager bei einem Automobilzulieferer und müssen Ihrem Chef neue Ideen liefern, weil die OEM-Kunden nachhaltigere und effizientere Produkte fordern. Von der Idee bis zur Ausarbeitung eines Business Cases dauert es sicherlich eine Woche. Mit KI-Lösungen kann dieser Prozess um ein Vielfaches beschleunigt werden, z. B. bei der Generierung von Produktideen, bei der Ausarbeitung einzelner Marktstudien und bei ersten Umsetzungsideen. Gleichzeitig können Sie innerhalb von fünf Minuten Stellenausschreibungen für alle Positionen erstellen, die zukünftig für die neue Abteilung benötigt werden. Egal in welcher Sprache und in welchem Format. KI-Lösungen sind super intelligente Assistenten. Natürlich braucht man immer noch das Know-how des Produktmanagers. Aber es kann viel effizienter eingesetzt werden.
Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen bei der Einführung von KI?
Abgesehen von den technischen Hürden ist eine der größten Herausforderungen das Mindset. Unternehmen müssen eine Kultur der kontinuierlichen Weiterbildung und Anpassungsfähigkeit fördern. Zu den Herausforderungen gehört natürlich auch eine gewisse Hemmschwelle, eine neue Technologie ins Unternehmen zu bringen und die Angst vor der eigenen Ersetzbarkeit und Unwissenheit. Auch der Mangel an qualifizierten Fachkräften, unzureichende Datenqualität, die Integration von KI in bestehende Systeme und Prozesse sowie ethische und datenschutzrechtliche Bedenken sind Themen. Darüber hinaus fehlt es häufig an einem klaren Verständnis des potenziellen ROI von KI-Investitionen, sowohl für „einfachere“ Anwendungsfälle als auch für „große“ Machine Learning Cases tief in der Wertschöpfungskette. Es geht nicht nur darum, eine neue Technologie zu implementieren, sondern auch darum, wie man in einer von KI getriebenen Welt arbeitet und denkt.
Können Sie Beispiele für erfolgreiche KI-Implementierungen in mittelständischen Unternehmen nennen?
Ein Beispiel ist ein mittelständisches Produktionsunternehmen, das KI einsetzt, um seine Wartungsprozesse zu optimieren. Durch prädiktive Wartung konnten Ausfallzeiten reduziert und die Lebensdauer der Maschinen verlängert werden. Ein anderes Beispiel ist ein Handelsunternehmen, das mit Hilfe von KI seine Lagerbestände optimiert und damit Kosten gesenkt hat. Ganz konkret ist die Drogeriemarktkette dm ein Paradebeispiel für die intelligente und pragmatische Umsetzung von KI-Lösungen. Innerhalb von vier Wochen hat das Team in Zusammenarbeit mit Microsoft eine eigene DMGPT-Lösung auf die Beine gestellt. Von der strategischen Entscheidung im Vorstand über die Case-Definition bis hin zur Schulung der Mitarbeiter wurde fast alles nach dem „Human in the Loop“-Prinzip selbst umgesetzt. Inzwischen können die dm-Mitarbeiter eine leicht modifizierte, datensichere GPT-Lösung nutzen und so die Leistungsfähigkeit von GPT in ihren Arbeitsalltag integrieren. Bis Ende des Jahres wird die Lösung in DACH vollständig ausgerollt sein und eine Plattform alle relevanten GPT-Lösungen wie ChatGPT, Google Bard, Midjourney und Co. bündeln. Parallel beschäftigt sich dm schon lange mit Künstlicher Intelligenz und Machine Learning in den Märkten und im Onlineshop. Von jedem dm-Produkt gibt es einen digitalen Zwilling, jedes Kundenfeedback wird sofort ausgewertet und fließt als Erkenntnis in Einkauf, Produktion, Marketing und Vertrieb ein.
Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter für die Umstellung auf KI-gesteuerte Prozesse bereit sind? Was sind die Erfolgsfaktoren?
Wichtig ist es, die Mitarbeiter frühzeitig einzubinden, transparent zu kommunizieren und einen einfachen Einstieg anzubieten. Natürlich muss der Kulturwandel hin zu einer datengetriebenen Organisation aktiv gestaltet und vom Management vorgelebt werden. Vor allem aber muss jeder Mitarbeiter in der Lage sein, den Mehrwert von KI in seinen eigenen Anwendungsfällen zu erkennen und mit einer deutlichen Leistungssteigerung umsetzen können. Wenn ich merke, dass ich ohne KI einen Tag länger für meine (repetitiven) Aufgaben benötige, dann fällt mir die Entscheidung relativ leicht. Es ist enorm wichtig, die Angst vor der „Bedeutungslosigkeit menschlicher Fähigkeiten und Kenntnisse durch KI“ zu nehmen. Es ist nicht die KI, die uns die Jobs wegnimmt, sondern der KI-Anwender. Das war schon bei jeder Technologie so. Bildung ist der Schlüssel. Unternehmen sollten in Schulungen investieren und eine Kultur der Neugier und des lebenslangen Lernens fördern. Es ist auch wichtig, auf die Ängste und Bedenken der Arbeitnehmer einzugehen und ihnen zu zeigen, wie KI ihre Arbeit ergänzen und nicht ersetzen wird.
Welche Rolle spielt die Datenqualität bei der Implementierung von KI in Unternehmen?
Die Datenqualität ist entscheidend für den Erfolg von KI-Projekten. Nur wenn die Daten sauber, vollständig und verlässlich sind, können KI-Modelle zuverlässige und nützliche Vorhersagen treffen. Unternehmen müssen in ihre Dateninfrastruktur investieren und Prozesse etablieren, um die Datenqualität kontinuierlich sicherzustellen. Gleichzeitig braucht es klare Richtlinien für den Umgang mit KI-Lösungen, z. B. keine sensiblen Daten weiterzugeben und jede KI-generierte Antwort sauber zu hinterfragen und zu plausibilisieren.
Welche spezifischen Herausforderungen und Bedürfnisse haben mittelständische Unternehmen im Vergleich zu Großkonzernen, wenn es um KI geht?
Mittelständische Unternehmen haben oft weniger Ressourcen, sowohl finanziell als auch personell, und können es sich nicht leisten, große Teams von Datenwissenschaftlern einzustellen. Sie benötigen daher pragmatische, kosteneffiziente Lösungen und eine klare Anleitung, wie sie den größten Nutzen aus KI ziehen und Lösungen schnell umsetzen können. Gerade in der aktuell herausfordernden Wirtschaftslage müssen KI-Lösungen zu Effizienz- und Rentabilitätssteigerungen und klaren Verbesserungen führen. Das ist der Anspruch jedes Geschäftsführers. Sie brauchen KI-Lösungen, die sich schnell implementieren lassen und einen unmittelbaren Mehrwert bieten. Sie haben nicht den Luxus, in langfristige, ungewisse KI-Projekte zu investieren.
Wie können Unternehmen mit Hilfe von KI dem Fachkräftemangel begegnen?
KI kann dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu adressieren, indem Routineaufgaben automatisiert werden und Mitarbeiter sich auf wertschöpfende Tätigkeiten konzentrieren können. Darüber hinaus kann KI den Rekrutierungsprozess unterstützen, um geeignete Talente schneller und effizienter zu finden und durch individuelle Onboarding- und Trainingsprogramme zu qualifizieren.
Welche Auswirkungen hat KI auf die Unternehmenskultur und wie können diese Veränderungen gemanagt werden?
KI fördert eine datengetriebene Kultur, in der Entscheidungen auf Fakten und Analysen und nicht auf Intuition beruhen. Dies erfordert Offenheit, eine hohe Lernbereitschaft und die Bereitschaft, bestehende Prozesse zu hinterfragen. Change Management und Führungskräfteentwicklung spielen dabei eine entscheidende Rolle. Es erfordert auch eine höhere Risikobereitschaft und die Bereitschaft, traditionelle Denkweisen in Frage zu stellen.
Wie sieht der ideale Prozess von der Identifikation eines KI-Anwendungsfalles bis zur erfolgreichen Implementierung aus?
Der ideale Prozess beginnt mit einem Kick-off, um die Grundlagen von KI aufzuzeigen und Anwendungsfälle zu identifizieren, die einen klaren Geschäftsnutzen bieten. Darauf folgt eine Machbarkeitsanalyse unter Berücksichtigung der Datenverfügbarkeit und -qualität. Nach der Auswahl geeigneter Technologien und Tools erfolgt die Entwicklung und Implementierung des KI-Modells, bevor es in den Produktivbetrieb überführt wird. Wichtig ist die kontinuierliche Überwachung und Optimierung des Modells.
Welche Tools und Plattformen empfehlen Sie Unternehmen, die gerade erst mit KI beginnen?
Für Unternehmen, die gerade erst anfangen, eignen sich klassische Tools wie Open AI Chat GPT, Google Bard, Midjourney Dall-E, aber auch kleine spezialisierte Tools wie Fireflies oder OtterAI, um Meetings automatisch zu transkribieren und daraus Ableitungen und Zusammenfassungen zu erstellen.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit externen Partnern und Dienstleistern bei der Einführung von KI in mittelständischen Unternehmen?
Externe Partner können wertvolle Expertise und Ressourcen einbringen, die intern möglicherweise nicht vorhanden sind. Sie können den Implementierungsprozess beschleunigen, Risiken minimieren und wertvolle Einblicke und Best Practices vermitteln.
Können Sie uns mehr darüber erzählen, wie KI dazu beitragen kann, den Rekrutierungsprozess in Unternehmen zu verbessern?
KI kann den Rekrutierungsprozess auf verschiedene Weise verbessern: durch die Automatisierung von Routineaufgaben, durch die Analyse von Bewerberdaten, um die besten Kandidaten zu identifizieren, und sogar durch die Vorhersage, welche Kandidaten am besten zum Unternehmen passen würden. Dies führt zu einem effizienteren Prozess und besseren Einstellungsentscheidungen.
Wie gehen Sie in Ihrer Beratungstätigkeit mit dem Thema Ethik und Datenschutz im Zusammenhang mit KI um?
Ethik und Datenschutz haben für uns höchste Priorität. Wir stellen sicher, dass alle KI-Lösungen, die wir implementieren, den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und ethischen Grundsätzen genügen. Außerdem beraten wir unsere Kunden, wie sie Transparenz schaffen und die Privatsphäre der Endnutzer respektieren können.
Gibt es spezielle Herausforderungen bei der Implementierung von KI in familiengeführten mittelständischen Unternehmen?
In Familienunternehmen gibt es oft eine starke Unternehmenskultur und tief verwurzelte Prozesse. Die Herausforderung besteht darin, die Vorteile von KI zu kommunizieren und gleichzeitig die bestehende Kultur und Werte zu respektieren. Es ist wichtig, diese Werte zu respektieren, während man die Vorteile von KI einführt, alle Stakeholder einbezieht und Veränderungen schrittweise und mit Bedacht umsetzt.
Zum Abschluss: Was sind Ihre drei wichtigsten Ratschläge für mittelständische Unternehmen, die KI implementieren möchten?
Erstens: Klein anfangen, einen klaren Anwendungsfall identifizieren und schrittweise skalieren. Idealerweise mit einem ersten KI-Bootcamp oder Kick-off, um die Grundlagen dieser Technologie zu verstehen und die effektivsten Anwendungsfälle zu finden. Seien Sie mutig, aber pragmatisch. Zweitens: Investieren Sie in die Aus- und Weiterbildung Ihrer Mitarbeiter und fördern Sie eine datengetriebene Kultur. Schaffen Sie als Unternehmen die richtigen Rahmenbedingungen. Drittens: Scheuen Sie sich nicht, auf externe Expertise zurückzugreifen, um von den Erfahrungen und Best Practices anderer zu profitieren. Sehen Sie KI als Partner, nicht als Bedrohung.