Prognosen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung in urbanisierten Gebieten leben werden. Angesichts der Tatsache, dass etwa 90 Prozent der größten Städte der Welt direkt am Wasser liegen, sind wir gezwungen, unseren Umgang mit Wasser in der bebauten Umwelt zu überdenken. Angesichts der Unvorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen und unvorhergesehener Bedürfnisse müssen wir flexible Strategien entwickeln - eine Planung für den Wandel. Die Vision ist, dass große schwimmende Projekte im städtischen Umfeld eine greifbare Lösung für diese Probleme bieten, die sowohl flexibel als auch nachhaltig ist.
Der Vision von Koen Olthuis, Gründer des niederländischen Architekturbüros Waterstudio.NL, zufolge sind die heutigen Designer ein wesentlicher Teil der Generation des Klimawandels und sollten beginnen, ihre Perspektive zu erweitern, indem sie städtische Komponenten berücksichtigen, die dynamisch statt statisch sind. Seine Lösung, „City Apps“ genannt, sind schwebende urbane Komponenten, die dem bestehenden statischen Raster einer Stadt eine spezifische Funktion hinzufügen. Die Nutzung vorhandener städtischer Gewässer als Bauland schafft Raum für eine neue Verdichtung und bietet Städten weltweit die Möglichkeit, flexibel auf Klimawandel und Urbanisierung zu reagieren.
Koen, wie bist Du auf die Idee der schwimmenden Städte gekommen?
Der erste Ausgangspunkt war vor einigen Jahren, als wir unser Unternehmen in den Niederlanden gründeten. Wir sahen, dass Wasser knapp war und die einzige Möglichkeit, wie die Menschen mit Wasser umgingen, darin bestand, Deiche zu bauen, um das Wasser zurückzuhalten. In den Niederlanden gab es bereits einige kleine Hausboote. Aber wir dachten, dass man das Konzept der schwimmenden Hausboote zu schwimmenden Wasserhäusern weiterentwickeln könnte, die eine bessere Qualität haben, größer sind und viel mehr wie normale Häuser aussehen. Ich habe herausgefunden, dass es Technologien gibt, um Wasser zur Aufwertung einer Stadt zu nutzen, die in jeder Stadt der Welt, in der es Wasser gibt, eingesetzt werden könnten – zum Beispiel in New York, London, Shanghai oder Tokio. Alle diese Städte haben die gleichen Probleme, und die gleichen Technologien könnten dort eingesetzt werden. So begannen wir unser Geschäft und expandierten in andere Länder. Wir sind ständig auf der Suche nach besseren Arten von schwimmenden Strukturen, von kleinen Häusern über Mehrfamilienhäuser bis hin zu schwimmenden Hochhäusern und Städten. Der zweite Ausgangspunkt für diese Idee war etwa 2011, als wir mit der Regierung der Malediven in Kontakt kamen. Der Grund dafür war, dass die Regierung aufgrund ihrer Lage mitten im Ozean eine Art Weckruf an die Welt richtete, um den Untergang zu verhindern. Die Botschaft lautete: Wenn die Welt nichts unternimmt, werden wir untergehen oder das Land verlassen müssen. Was damals bei einer Einwohnerzahl von rund 375.000 auch möglich gewesen wäre. Aber wir als Architekten und Bauherren kamen in Kontakt mit der Regierung und ich sagte: „Okay, wir können auch etwas anderes machen. Lasst uns aus Beinahe-Klimaflüchtlingen Klimainnovatoren machen und mit niederländischer Technologie einen Maßstab setzen und eine Referenz für eine schwimmende Stadt schaffen, die der Gesellschaft Hoffnung gibt und eine Antwort auf den Platzmangel und den Klimawandel ist. In Malé leben die meisten Menschen auf engstem Raum, oft in Mehrgenerationenhäusern ohne viel öffentlichen Raum. Es gibt keine Möglichkeit, diese Art von Inseln mit den üblichen traditionellen Technologien wie Pfählen oder Aufschüttungen zu erweitern. Aber solche schwimmenden Fundamente wären die ideale Lösung, um diesem Land neuen Raum zu geben und die Stadt zu vergrößern, denn wir sind nur fünf Minuten von der Hauptstadt entfernt und bieten bezahlbaren Wohnraum. Denn das ist es, was wir brauchen. Es ist nicht notwendig, eine reiche, teure Villa zu bauen, es ist notwendig, ein paar Studios und Wohnungen zu bauen, zum Beispiel für Leute, die in keiner Beziehung sind, für Singles, die keinen separaten Raum für sich finden. Im Laufe der Zeit entstand so ein Joint Venture, und alle Politiker befürworten diese Art von schwimmenden Städten, weil sie der Gesellschaft Raum geben und den sozialen Wohnungsbau entlasten. Das ist Ursprung der Geschichte.
Du hast also erst lokal und dann global gedacht - der Anfang war Westland in Den Haag und jetzt geht es weiter mit den Malediven?
Die ersten Strukturen sind geschaffen und wir sind dabei, sie auf drei Ebenen zu testen: Mit dem Stabilitätstest, der nicht so schwierig ist, weil wir bereits wissen, dass es funktioniert. Dann haben wir den ökologischen Test. Wir müssen zeigen, dass es keine negativen Auswirkungen auf die Ökologie gibt. Und noch besser: Wir müssen zeigen, dass sich alle möglichen Meeresbewohner auf diesen schwimmenden Plattformen ansiedeln und unter diesen Plattformen ein neues Ökosystem schaffen, was natürlich logisch ist, weil es Schatten spendet und etwas niedrigere Temperaturen erzeugt. Und das Dritte und Wichtigste sind die Menschen, die in dieser schwimmenden Stadt leben wollen. Anfang nächsten Jahres erwarten wir die Produktion der ersten großformatigen Module, und das erste Modell ist fast 30 mal 100 Meter groß, wie eine Straße, und auf der Straße haben wir Wohnhäuser. Am Ende sollen 194 Straßen miteinander verbunden sein und die ganze Stadt bilden. Ich vergleiche das gerne mit Lego - ein Segment sind die Häuser und ein anderes das Fundament. Das ist ein fantastischer Montageprozess, bei dem verschiedene Häfen in der Region als Produktionsstätten genutzt werden können. Man muss also nicht mehr an einem Ort oder in der Lagune selbst bauen. Denn wenn man woanders bauen würde, hätte das einen sehr schlechten Einfluss auf die Ökologie.
Für wie viele Menschen wird das zunächst eine Lösung sein?
Wir werden in der Lage sein, 30.000 Menschen ein neues Zuhause zu geben, und die Regierung hat meinen größten Respekt, denn wenn man sich die Welt anschaut, haben wir schon sehr lange Ideen. Aber man muss eine Regierung finden, die bereit ist, sich zu verändern, sich zu öffnen und Möglichkeiten zu schaffen. Und obwohl die Niederlande mit der Technologie der schwimmenden Fundamente sehr weit fortgeschritten sind, gibt es immer noch nur wenige schwimmende Stadtviertel, und diese Viertel sind hauptsächlich für die Reichen, die eine fantastische Villa besitzen. Aber das ist keine Lösung für den Bedarf an mehr Wohnraum, der auch im Inland dringend benötigt wird. Deshalb finde ich es faszinierend, dass Länder, die weit von uns entfernt sind, bereit sind, solche Maßnahmen zu ergreifen, um den rechtlichen Rahmen zu schaffen und Standorte zur Verfügung zu stellen.
Das sind sehr mutige Ansätze der maledivischen Regierung ...
Es war das Time-Magazin, das von der Entwicklung der Gesellschaft von Klimaflüchtlingen zu Klimainnovatoren sprach, und wir fanden diesen Satz sehr schön. In Wirklichkeit ist es genau so, denn die Technologie, die jetzt im Rahmen des Joint Ventures mit der Regierung der Malediven entwickelt wird, wird auch in anderen Städten der Welt zum Einsatz kommen, natürlich nicht mit der gleichen Farbe der Häuser und der Strände. Aber dahinter stehen die schwimmenden Fundamente selbst, die Logistik, die Technologie, das ökologische Wissen. Das Wissen, das in dieser Stadt gewonnen wird, wird in Städten auf der ganzen Welt genutzt werden. Man kann dies fast als den ersten Schritt in eine neue Ära der Stadt sehen, in der die Stadt mehr Raum hat. Vor fast 140 Jahren wurden die ersten Wolkenkratzer gebaut und weltweit nachgeahmt. So wird es auch mit den schwimmenden Gebäuden sein, die innerhalb von 15 Jahren überall auf der Welt zu finden sein werden - in unseren Häfen, auf unseren Flüssen, Kanälen und offenen Gewässern. Dabei geht es nicht darum, Wasserflächen zu bebauen, sondern Städte flexibler und nachhaltiger wachsen zu lassen.
Das Ökosystem wird also nicht negativ beeinflusst?
Nein, denn dann sollte man es lassen. Ich denke, die Regeln werden strenger, was wir begrüßen und was gut ist. Heute muss man nachweisen und viele dieser Szenarien im Voraus berechnen. Wenn wir also anfangen, kennen wir die Wassertiefe, die Strömung, das Ökosystem, wir kennen die Sonne, den Wind, alles. Das bestimmt, wie groß die Plattformen sein können. Wenn man flaches Wasser und nicht genug Sonnenlicht hat, kann man keine sehr großen Fundamente bauen, anders im Ozean, wo es mehr Tiefe und mehr Strömung gibt. Es kommt also darauf an, wo man sich auf der Welt befindet und wie der Zustand des Wassers ist. Das bestimmt die Größe, die Höhe und die Tiefe des Fundaments. Das ist also der Ausgangspunkt, und das Ganze ist ein Lernprozess. Je weiter die Entwicklungen voranschreiten, desto mehr lernen wir und desto besser können wir sie mit dem ökologischen Idealzustand in Einklang bringen. Die Basis und das Hauptziel ist es, einen positiven Einfluss auf die Ökologie und die Gestaltung der Lagune zu haben. In der Mitte der Lagune ist nichts, es ist eine Sandbank. Indem wir einige dieser schwimmenden Fundamente einsetzen, schaffen wir bereits ein Ökosystem. Während wir bauen, sehen wir durch die Testinseln, wie sie von den Meerestieren als Unterschlupf, als Schutz oder als Schattenplatz genutzt werden. Es gibt dort viel Leben, und es ist eine logische Technologie, die wir einsetzen, um die Ökosysteme zu verbessern.
Kritische Stimmen wird es sicher trotzdem geben ...
Es wird sie immer geben, und sie zwingen zu kreativen Innovationen, um eine Lösung zu finden. Wenn es keine Kritik gäbe, wären alle Städte ein großes Chaos. Es muss kritische Stimmen geben, weil sie einen zwingen, bessere Lösungen zu finden.
Findet bei den Einwohnern denn auch ein Umdenken statt?
Es gibt eine gewisse Ehrfurcht und wir fordern eine Art Lebensstiländerung, denn die Männer sind es zum Beispiel gewohnt, überall mit dem Motorrad oder dem Auto hinzufahren. Das sollte in Zukunft vermieden werden, sodass man zu Fuß über die sandigen Straßen geht oder mit dem Elektroboot über das Wasser fährt. Das funktioniert auch in den Städten wegen der Wasserwege. Wir glauben also wirklich an eine Bootsgemeinde, in der man die Geschäfte, die Gesundheitsversorgung und die Schule zu Fuß erreichen kann. Aber wenn man in die Hauptstadt will, nimmt man ein Boot. Das kann das eigene Boot sein, Taxiboote oder das Fährsystem, das es bereits gibt. Es ist fast wie ein modernes Venedig, nur nicht statisch.
Wann wird das Projektfertiggestellt?
Die ersten Häuser müssen gebaut und in Betrieb genommen werden. Es gibt 17 Quartiere und das erste wird in 18 Monaten betriebsbereit sein. Dann kommen die anderen Viertel. Insgesamt wird es also fünf Jahre dauern. Die Produktion liegt bei 10 bis 15 Einheiten pro Tag, was 13.000 schlüsselfertigen Appartments und Stadthäusern entspricht. Diese Zahl hat sich in den letzten anderthalb Jahren mehr als verdoppelt, weil die Regierung Druck ausübte und das Gefühl hatte, es gäbe zu viele Stadthäuser und zu wenig Studios. Wir mussten fast 60 bis 70 Prozent der Stadthäuser in Studios umwandeln. Ein Studio hat etwa 25 Quadratmeter, eine Appartment etwa 50 Quadratmeter und ein Stadthaus etwa 100 bis 150 Quadratmeter. Das bedeutet, dass jetzt viel mehr Wohnraum für den durchschnittlichen Einwohner von Malé zur Verfügung steht, der kein Appartment oder Haus findet. Einige werden ein Haus kaufen, andere werden einfach ein Haus mieten. Der Mietwohnungsmarkt ist derzeit sehr schwach und wird einen großen Aufschwung erleben, wenn diese zusätzlichen Gebäude gebaut werden.
Hat das alles auch mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun?
Die Gesellschaft hat sich weltweit verändert. Natürlich verändern sich Gesellschaften, aber früher war alles viel traditioneller. Man hat Kinder, Kinder und Eltern leben in zwei Häusern, weil sie auf Inseln leben und genug Platz haben. Aber wenn man allein in Malé lebt und sich kein Haus teilen kann, muss man mit den Eltern zusammenwohnen. Immer mehr Menschen lassen sich scheiden oder heiraten gar nicht erst, sondern leben als Single. Und das bisherige Umfeld lässt solche sozialen Veränderungen nicht zu. Diese schwimmende Stadt würde nicht funktionieren, wenn man sie 200 Kilometer von Malé entfernt bauen würde. Sie funktioniert, weil sie nur fünf Bootsminuten von Malé entfernt ist.
Als Architekt ist man also mehr denn je gefordert, Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden?
Ja, ich denke, das ist gut gesagt, denn die Rolle des Architekten ist nicht mehr nur die desjenigen, der ein schönes Bild oder eine schöne Wohnung entwirft, sondern er ist der Arzt der Stadt und er braucht ein Heilmittel für sein Wasserproblem. Man will ein Problem in der Stadt lösen, und man muss Technologie, Geld, soziale und rechtliche Fragen mitbringen und versuchen, eine Lösung zu finden. Und die Lösung ist nicht immer die perfekte Lösung, aber es ist ein Gleichgewicht zwischen all diesen Faktoren, die gerade erwähnt wurden.