Tradition und Moderne
Alles Gute, Old Lady! 125 Jahre Hamburger Geschichte stehen am westlichen Ufer der Binnenalster: Das Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten. Das luxuriöse Grandhotel ist Inbegriff europäischer Reisekultur, der historische weiße Bau mit dem grünen Kupferdach eine architektonische Sehenswürdigkeit. Das Hotel ist großer Tradition verpflichtet, ein Besuch wird unvergesslich.
Tisch neun in der Wohnhalle, das ist der Lieblingsplatz. Der rote Fauteuil an der Wand neben dem Eingang steht so günstig. Von hier kann er alles sehen und wird doch selbst nicht beobachtet. Das ist großartig. Anna Ziegler, Director Sales und Marketing, erwartet ihn pünktlich. Aus den wenigen Worten bis zu seinem Auftritt klingt echte Wertschätzung, nicht einfach nur Respekt. Ja, sie mögen ihn. Sie schätzen ihn. Sie kennen ihren Hoteldirektor.
Und dann bestellt er überraschend einen Darjeeling.
Eigentlich hatte seine Assistentin schon einen Espresso bringen lassen wollen, zögerte aber noch. Aus zwei Gründen: Am Vormittag trinkt der Chef auch mal einen Café Crème, wenn er sich mehr Zeit nehmen will. Und, wichtiger, auch beim Boss will das Service-Team seinen Wunsch erfüllen und stellt ihm nicht einfach nur etwas zu trinken hin.
In diesem kleinen Detail lässt sich der Unterschied zu anderen Häusern der besten Hotellerie auf dieser Welt ausmachen. Das Feeling im Hamburger Luxushotel ist anders als in anderen Häusern. Vielleicht, weil es so viel Tradition und Gediegenheit ausstrahlt, allerdings ohne steife Höflichkeit. Wohl, weil man es schafft, gegenüber dem Gast in echtem Sinne achtsam zu bleiben und nebenbei unterhaltsam plaudert.
Ingo C. Peters übernahm 1997 den Posten zur Leitung des Hauses. Von den 125 Jahren, die das Haus besteht und was nun mit großem Jubiläum gefeiert wird, gehen zwanzig Prozent des Managements auf sein Konto. Doch das stimmt nur auf den ersten Blick, es sind fast dreißig Jahre. Peters Lebensbeziehung begann mit einem handgeschriebenen Brief an die Hoteldirektion, gleich nach seinem Abitur. Er wollte in dieses Haus. Nirgendwo anders hätte er angefangen, beteuert er. Peters war reichlich spät mit seiner Bewerbung dran, alle Ausbildungsstellen waren bereits auf Jahre hinaus vergeben. Für die Zeit danach könne er sich bewerben, hieß es. „Die haben mich fast ausgelacht, wegen meiner Naivität“, erinnert er. Und doch ging er mit Mutter an der Hand zu diesem Gespräch und machte klar, dass er auf jeden Fall hier anfängt. Dann diene er eben erstmal als Praktikant. Wenn sich etwas tut beim Personal, ist er schon mal zur Stelle. Und so kam es, wie er es sich wünschte: Ein anderer sprang ab und er war schon da. „Mir perlt noch heute der Schweiß auf der Stirn, wenn ich an diesen 5. August 1981 denke. An meinem ersten Tag war es heißester Sommer und ich stand in meinem Anzug mit engem Kragen an der Tür und polierte die Glasscheibe.“ Glänzende Glasscheiben sind wichtig in einem solchen Haus. Auch wenn sie dem Gast nur auffallen, wenn sie nicht sauber sind. In den Jubiläumsschriften wird gern an dieser Stelle die Story „Vom Hotelpagen zum Direktor“ erzählt. Die ist unterhaltsam und präsentiert vor allem die intensive Praxis auf allen Ebenen eines Hotels, über die Peters verfügt. Sie besagt aber auch: Peters hat den Herzschlag des Hauses in seine eigene DNA eingeschrieben. Er hat fast sein ganzes Berufsleben in den Dienst des Hauses gestellt.
Das zweite Mal in seiner Karriere perlte ihm der Schweiß auf der Stirn im Oktober 1997. Peters begann an diesem kühlen Herbsttag als Direktor und sein ehemaliger Portierchef öffnete ihm die Tür. „Ich hatte in diesem Moment das Gefühl: Wenn du das hier nicht hinkriegst, dann kannst du dich nie wieder bei deiner Familie, den Freunden, Bekannten und Verwandten hier zuhause sehen lassen.“ Er sagt das auf schönstem Hamburgisch: NICH HINKRICHST. Mit rollendem R von der Zungenspitze. Wenn es ums Gefühl geht, zeigt es sich auch in seiner Sprache.
Der Chefportier, Gerhard Beyer, war also noch hier, als Peters wiederkam. Mit ihm besichtigte er erstmal drei Stunden lang alle sehenswerten und vor allem alle unsichtbaren Ecken im Hotel. „Das war wie nach Hause kommen“, sagt er. Aber vielleicht auch ein wenig wie der Einzug in die Kampfarena. Doch er hatte Verbündete, nicht nur eine Belegschaft.
Beyer blieb im Hotel Vier Jahreszeiten bis zu seiner Rente. Die Fluktuationsrate in der Hotellerie ist bekanntlich hoch. Zwei, drei Jahre Verweilzeit in einer Position sind der Durchschnitt laut Statistik. Ungewöhnlich hoch ist sie mit siebeneinhalb Jahren Bleibedauer im Hotel Vier Jahreszeiten. Dabei sind alle Positionen wie Zimmerservice und Azubis miteingerechnet. Man bleibt sich treu. Auch jetzt in der Pandemie. Trotz geringerer Auslastung durch die geltenden Pandemievorschriften konnten alle Angestellten gehalten werden, ohne Kurzarbeit. „Sie können umbauen, Sie können investieren, aber gutes Personal müssen Sie pflegen“, sagt Peters. Eigentlich eine Binse, aber, wenn es ums Geld geht, wird so eine Erkenntnis oft aussortiert und die Menschen gleich mit.
Dass einem Hoteldirektor an den Menschen liegt, gehört zum Job. Bei Peters gehört es offenbar auch zu seinem Charakter. Als er nach seiner Ausbildung und den daran anschließenden Jahren seine Karriere in der weiten Welt fortsetzte, kam er immer wieder zurück in sein erstes Haus. Es war fast ein Ritual: Er fuhr vom Flughafen zu den Landungsbrücken, Fischbrötchen essen, wenn es die Zeit erlaubt hat, wurde eine kleine Hafenrundfahrt gemacht und dann ging es auf einen Plausch mit den ehemaligen Kollegen. Klar, zuerst beim Portierskollegen, aber er schaute auch in der Küche vorbei, grüßte bei der Verwaltung oder nahm auch mal mit seiner Mutter einen Tee im Café Condi mit Blick auf die Binnenalster.
„Als ich hier übernahm, wusste ich genau, in welchem Zustand das Hotel war“, resümiert Peters. Als er anfing, war das Hotel Vier Jahreszeiten ein Unternehmen, das von der Gründerfamilie geleitet wurde. Dann übernahmen es verschiedene internationale Konzerne und Hotelgruppen. 2013 erwirbt die Vermögensverwaltung des Lebensmittel-Unternehmers Kurt Dohle das Hotel. Dann wird das alte Gebäude wieder richtig auf Vordermann gebracht. Wobei dieser Satz kaum ausdrückt, wie umfassend es erneuert wurde. Ingo C. Peters hat über Jahre bei laufendem Betrieb die Handwerker im Haus. „Das kann man organisieren“, stellt er trocken fest. Die Mitarbeiter an der Rezeption bekommen die Freigabe, bei Beschwerden dem Gast sofort einen Ausgleich anzubieten. „Kein langes Rückfragen darf dann noch zusätzlich frustrieren“, sagt er.
Das Hotel wurde nicht totsaniert, wie es schon mal bei Luxusketten geschehen kann, wenn Stäbe von Architekten und Designern sich profilieren dürfen. Peters konterte im rechten Augenblick mit seinem Wissen. Ein Beispiel: Der Hotelgründer wollte nicht, dass seine Gäste in einem Durcheinander von Gepäck zurechtkommen müssen. So ließ er einen versteckten Aufbewahrungsraum und einen Gepäckaufzug einbauen. Wie damals vom Gründer erdacht, läuft dieser in versteckter Linie parallel zum Aufzug, der die Gäste nach oben transportiert. Es gibt bis heute keine Fahrstühle mit Edelstahlwänden, in die sich die Gäste mit ihren Koffern reinschubsen können. Es gibt auch noch richtige Zimmerschlüssel statt Plastikkarten. Der Chip ist im Schlüssel, der Anhänger schwer genug, dass man ihn nicht mitnimmt. „Ich hatte genau meine Vision, auf die ich zuarbeiten wollte. Ich wusste, was und warum ich es tun wollte“, sagt Peters. Was er in seiner Ausbildung gelernt hatte, war in bestem Sinne nachhaltig. „Ich konnte angemessen reagieren. Ich konnte entscheiden, was der Zeit gemäß erneuert werden muss, aber auch sehen, was für den gediegenen Komfort sich über die Jahrzehnte bewährt hatte und erhalten werden musste.“
Das Hotel wurde zum Lebensmittelpunkt des Ingo C. Peters. Nicht nur beruflich. Das liegt auch daran, dass er eine Betriebswohnung im Hotel bewohnt. Verfügbarkeit ist seine Pflicht. Sohn Conrad, gerade mal fünf Jahre alt, nimmt heute schon rege am Hotelleben teil. Klar, wenn der Mini aus der Tür der Wohnung tritt, trifft er Zimmermädchen oder Gäste. Und so hilft er gerne mal mit, z. B. beim Staubsaugen. Er kriegt auch vieles mit, wozu andere Kinder mühsam ermahnt werden müssen: deutlich „Guten Tag“ sagen und dabei den Menschen anschauen. „Was uns ganz wichtig ist“, fügt Peters an, „dass er weiß: Wir sind nicht die Serviceempfänger, wir sind die, die den Service leisten.“
Es gibt auch eine Menge unterhaltsamer Anekdoten, auch von berühmten Gästen. Wie die vom saudischen König, der seinen Thron mitbringen wollte. Als alles vorbereitet war dafür, wurde abgesagt.
Peters lebt im Hotel. Für das Hotel. Mit dem Hotel. Wenn Peters mal wirklich weg sein will, dann reist er ganz nach Süden in Deutschland und verbringt seine Zeit am Tegernsee. Da ziehen sich Vater und Sohn ihren bayerischen Janker an, fahren mit der Kabinenbahn hinauf auf den Wallberg und schauen über die Gipfel der Alpen, die von dort oben wie Perlen in einem Meer glitzern. Abends geht’s ins Freihaus Brenner oder zum Lois in seinen Haubentaucher an der Seestraße. „Das Leben dort ist so anders, die Berge, der See“, schwärmt Peters. „Ich mag die Menschen. Sie leben mit Tradition und Wertigkeit.“
Und jetzt? „Jetzt habe ich alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte“, sagt Ingo C. Peters. Dann schweigt er. Die Bilanz stimmt. Der Eigentümer ist zufrieden. Letztens gab es mal eine kleine Debatte, denn Peters hatte in einem
Interview offen über seine Erfahrung mit Gästen geplaudert. Natürlich diskret, ohne Namen, ohne Umfeld. Nur Amüsantes. Aber in Zeiten politischer Korrektheit fühlte sich einer enttarnt und schrieb einen Leserbrief an das Blatt, denn die
Leserschaft sollte wissen, dass sich das für einen hanseatischen Hoteldirektor nicht gehört. Ja, so ist das heute. Aber heute bekäme wohl auch keiner mehr einen Job, wenn er mit seiner Mutter zum Vorstellungsgespräch erscheint. Heute muss auch erstmal alles debattiert werden, bevor einer etwas bewegen kann. Und wer von früheren Zeiten spricht, in denen das noch nicht so war, outet sich selbst als eine Antiquität des Zeitgeistes. Das alles sagt Ingo C. Peters nicht. Aber die Gedanken kommen einem bei dem Gespräch in den Kopf. Eine Art Dankbarkeit strömt nach der Begegnung mit ihm durchs Gemüt: schön, dass diese Geradlinigkeit zu spüren ist.
Aber nun noch einmal – Ingo C. Peters hat also über einen ungewöhnlich langen Zeitraum das Hotel geprägt: Wie geht’s weiter? „Ich würde gerne noch zehn Jahre weitergestalten“, antwortet er. „Wir sind jetzt oben, das zeigen die ganzen Auszeichnungen, die das Haus bekommt. Man wählte uns zum besten der hundert besten Häuser in Deutschland und wir sind das zweitbeste Hotel Europas. Nur das Réserve in Paris müssen wir noch überbieten. Aber wir wollen auf Dauer ganz oben bleiben. Und das halte ich fast für herausfordernder als den bisherigen Weg.“ Er weiß, keiner ist unersetzbar. „Ich habe bisher ein sehr erfülltes Leben im Beruf leben können. Und die Ideen gehen mir künftig auch nicht aus“, wirft er ein und zählt noch mögliche Interieur-Veränderungen auf. Den Grill würde er noch großartiger gestalten wollen. „Man muss sich immer wieder neu erfinden“, gesteht er. „Wem an solch einer Position die Energie ausgeht, der schreibt sich selbst ab.“
Hätte er einen Wunsch frei, dann diesen: Er würde gerne mit den Jahren den eigenen Nachfolger aufbauen. Einen, dem er sein Wissen wie einen Staffelstab übergeben kann für das Rennen durch dieses neue Jahrhundert. Auch das ist wieder eine Aussage, die nur auf den ersten Blick old-fashioned wirkt. Auf den zweiten ist diese Haltung dann doch eher so gediegen und echt wie dieses einmalige Erste Haus an Hamburgs Binnenalster. Ingo C. Peters nippt kurz am Darjeeling, dann verabschiedet er sich. Man muss der Pandemie ein Schnippchen schlagen, die Jubiläumsfeier wurde soeben auf den Mai vertagt. Das Haus braucht ihn, schließlich soll es pfiffig weitergehen.
Wissen was es noch gibt – Kinder Knigge Kurse
Manieren muss man einfach mögen. Gerade weil heute kaum noch einer über echte Benimm- und gute Umgangsformen, Tischmanieren verfügt. Der Kenner weiß: Etikette hat nichts mit Etiketts zu tun. Im Hotel Vier Jahreszeiten können schon Kinder Benimm und gute Umgangsformen erlernen. Es gibt übrigens auch Knigge-Kurse für Erwachsene.
www.hvj.de/de/knigge-kurse.html
Ein Stück Hamburg
Die Geschichte des Hotel Vier Jahreszeiten beginnt 1897. Friedrich Haerlin ersteigert das Hotel „Zu den Vier Jahreszeiten“ für 420.000 Mark. Das Haus hat nur 11 Zimmer, aber eine unbezahlbar wunderbare Lage an der Binnenalster. Hamburg ist nach London und New York der wichtigste Hafen der Welt, die Stadt hat eine vielversprechende Zukunft vor sich. Haerlin kauft nach und nach die Nachbarhäuser auf und erweitert das Hotel.
Adel und Prominenz werden Stammgäste. Dann zerstört der 1. Weltkrieg das Lebenswerk Haerlins. Zwei Söhne fallen an der Front, nur Sohn Fritz überlebt den Krieg. Das Haus wird beschlagnahmt und zum Sitz für das Oberkommando zur Küstenverteidigung.
1923 startet Familie Haerlin wieder durch. Fritz verbrachte die Zeit nach dem Krieg in den USA. Er bringt 1500 Dollar mit. Die Devisen bringen Sicherheit und ermöglichen Investitionen für eine neue Zukunft. Das Casino, die heutige Wohnhalle, wird in reinstem Art Déco Stil gebaut
Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ist das Haus eine der besten Adressen Hamburgs. Fritz Haerlin wird zwar NSDAP Mitglied und sympathisiert mit der Macht. Dennoch werden jüdische Mitarbeiter weiter beschäftigt und jüdische Gäste weiter beherbergt. 1939 wird Fritz Haerlin zum Militär eingezogen. Der Jahreszeiten-Keller wird zum Luftschutzbunker. Als alliierte Bomber Hamburg in Schutt und Asche legen, sterben 30.000 Menschen. Doch das Hotel war nur leicht beschädigt. Hamburg kapituliert am 3. Mai 1945. Die 7. britische Panzerdivision beschlagnahmt das Hotel als ihr Hauptquartier. Fritz Haerlin überlebte den Krieg, wird als Mitläufer entlastet, aber hat Hausverbot für sein Hotel. Erst 1952 erfolgt die Rückgabe des Hotels an Fritz Haerlin. Er eröffnet es wieder. Glanz und Glamour ziehen wieder ein: gekrönte Häupter, Präsidenten, Kanzler, Künstler.
Heinz Rühmann probt in Zimmer 447 seine Paraderolle in „Der Hauptmann von Köpenick“. Operndiva Maria Callas und Tanker-König Aristoteles Onassis wohnen hier.
Die Gründerfamilie verkauft 1989 das Haus an den japanischen Bauunternehmer Hiroyoshi Aoki. Es blieb den Haerlin-Töchtern nichts anderes übrig: Die Mutter hatte sich mit Steuerkonten in der Schweiz verzockt. 2007 übernimmt die kanadische Luxushotelgruppe Fairmont das Haus, dann 2013 die Unternehmerfamilie Dohle.