Der Herbst steht in Apulien ganz im Zeichen der Olive. Denn dann wird die neue Ernte eingebracht und zu jenem „Grünen Gold“ gepresst, für das die Region am Absatz des italienischen Stiefels bekannt ist. Etwa die Hälfte des gesamten italienischen Olivenöls stammt von dort. Doch für dieses Jahr sind die Aussichten düster. Schätzungen zufolge soll die Ernte in Apulien um mehr als 40 Prozent geringer ausfallen als in der vergangenen Saison. Das gleiche gilt auch für andere wichtige Anbaugebiete wie Kalabrien und Sizilien. Insgesamt drohen in Italien Einbußen von etwa einem Drittel. In der Rangliste der weltgrößten Olivenöl-Produzenten könnte das Land damit vom zweiten auf den fünften Platz abrutschen. Schuld daran sind in erster Linie die extreme Hitze und Dürre, die den Bäumen vor allem im Süden Italiens zu schaffen gemacht haben. Doch seit mehr als zehn Jahren kämpfen die Bauern in Apulien auch noch gegen einen anderen gefährlichen Gegner.
Zunächst hatte niemand eine Erklärung für das Drama, das sich damals zu entfalten begann: Immer mehr Olivenbäume zeigten erst welke Blätter, dann vertrockneten sie ganz. Uralte Veteranen, die seit Jahrhunderten allen Widrigkeiten getrotzt hatten, gingen einfach ein. Das Sterben griff rasant um sich, nichts schien es aufhalten zu können.
Im Oktober 2013 hatte man dann seine Ursache ausgemacht: Das Feuerbakterium Xylella fastidiosa, das weltweit als einer der gefährlichsten Erreger von Pflanzenkrankheiten gilt, hatte den Weg von Amerika nach Europa gefunden. Seither steht es unter intensiver Beobachtung und im Mittelpunkt zahlreicher Forschungsprojekte. Doch seinen Schrecken hat es bis heute nicht verloren. Im Gegenteil: Im Zuge des Klimawandels könnte es sich weiter ausbreiten.
Das aber kann nicht nur für Olivenbäume zum Problem werden. Auch bei anderen Nutzpflanzen wie Weinreben, Mandeln, Zitrusfrüchten, Kaffee und Avocados kann das Feuerbakterium gefährliche Krankheiten auslösen. Auch Ziergehölze wie Oleander und Wildpflanzen wie Eichen haben unter dem Erreger zu leiden, von dem etliche Varianten im Umlauf sind. Sonderlich wählerisch ist das Feuerbakterium also nicht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat kürzlich eine aktualisierte Datenbank mit 712 bekannten Xylella-Wirten veröffentlicht. Nicht alle davon werden allerdings sofort krank. Manchmal dauert es Monate, bis infizierte Pflanzen Symptome zeigen, manchmal entwickeln sie auch gar keine. Genau das macht das Infektionsgeschehen so unübersichtlich. Denn niemand weiß, wo das Bakterium vielleicht unerkannt lauert. Und wenn es erstmal da ist, kann es leicht weiter verbreitet werden.
Insekten, die diesen Job übernehmen können, gibt es reichlich. Dabei handelt es sich um Zikaden und andere Sechsbeiner, die sich von Pflanzensäften ernähren. Wie mit einem Strohhalm bohren sie die Leitungsbahnen an, in denen Pflanzen Wasser und darin gelöste Substanzen von den Wurzeln zu den Blättern transportieren. Wenn die kleinen Vampire anfangen zu saugen, können sie den Erreger innerhalb von Minuten auf ein bis dahin gesundes Gewächs übertragen. Und dann nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Die Bakterien vermehren sich, verstopfen die Leitungsbahnen und unterbrechen so den Wassertransport. Das Opfer vertrocknet.
Der Erreger ist so gefährlich, dass er laut EU-Bestimmungen intensiv bekämpft werden muss. Das bedeutet, dass in bestimmten Befallszonen nicht nur die nachweislich infizierten Pflanzen und diejenigen mit verdächtigen Symptomen entfernt und vernichtet werden müssen. Sondern auch alle ihre Artgenossen, unabhängig von ihrem Gesundheitszustand. In bestimmten Fällen gibt es Ausnahmen, etwa für Bäume mit besonderem historischem oder kulturellem Wert. Aber die Verluste in Apulien waren riesig. Ebenso wie die Proteste der Bevölkerung.
Denn Oliven bieten in Italien nicht nur eine wichtige Einnahmequelle für viele Kleinbauern und garantieren Tausende Jobs. Sie sind auch eine Art Kulturgut. Für viele Menschen in Apulien ging es daher auch um ein Stück ihrer Geschichte, ihrer Identität und ihrer kulinarischen Traditionen. Als ein gewaltiger, uralter Olivenbaum mit dem bezeichnenden Namen „Il Gigante di Felline“ die ersten Symptome zeigte, tat sich die gesamte Gemeinde zusammen, um ihn zu retten. Vergeblich. Der Riese blieb zwar stehen, überlebte die Krankheit aber nicht.
Genauso ging es vielen seiner Artgenossen. Allein in den ersten zehn Jahren hat der Erreger in Italien rund 8000 Quadratkilometer Olivenhaine befallen und 21 Millionen Bäume geschwächt oder getötet. Fachleute der Welternährungsorganisation FAO schätzen die wirtschaftlichen Verluste dort auf mehr als zwei Milliarden Euro. Doch dabei wird es nicht bleiben. Denn Italien ist mit dem Problem nicht mehr allein. Auch in verschiedenen Regionen Frankreichs, Spaniens und Portugals hat es bereits Xylella-Ausbrüche gegeben. Große Schäden hat der Erreger beispielsweise auf spanischen Mandel-Plantagen angerichtet.
Der Rest der EU gilt bisher noch als Xylella-frei. Doch es steht die Befürchtung im Raum, dass sowohl die Bakterien als auch ihre sechsbeinigen Überträger vom Klimawandel profitieren könnten. Möglicherweise drohen dann nicht nur weitere Schäden in Europas Olivenhainen und Mandelplantagen. Sondern auch in den bisher weitgehend verschonten Weinbergen. Sollte sich der Erreger über die ganze EU verbreiten, rechnet die Europäische Kommission mit 5,5 Milliarden Euro Produktionsverlust pro Jahr. Fast 300.000 Arbeitsplätze könnten nach EU-Schätzungen in Gefahr sein.
Was also tun, um das alles zu verhindern? Eine wirksame Kur gegen den Erreger und die von ihm ausgelösten Krankheiten gibt es bisher nicht. Zwar lässt sich das Infektionsgeschehen bis zu einem gewissen Grad beeinflussen, wenn man die Bäume anders beschneidet, bewässert und düngt. In Apulien haben Landwirte zum Beispiel versucht, befallene Oliven radikal zurückzuschneiden. Daraufhin sind am Fuß der Stämme zwar neue Triebe gewachsen, gesund geworden sind die Bäume aber nicht. Die meisten kümmerten noch eine Weile vor sich hin und gingen dann ein.
Die EU setzt daher auf Prävention, Früherkennung und das Eindämmen neuer Infektionsherde. Es gibt eine lange Liste von mehr als 200 Pflanzenarten, die nur unter strengen Auflagen aus den Xylella-Gebieten herausgebracht werden dürfen. Zudem gelten seit 2015 verschärfte Einfuhrbedingungen. Für den Anbau bestimmte Kaffeepflanzen aus Honduras und Costa Rica dürfen zum Beispiel gar nicht mehr in die EU importiert werden, hunderte weitere Arten aus Drittstaaten nur unter bestimmten Bedingungen. Das soll verhindern, dass weitere Varianten des Bakteriums eingeschleppt werden. Zudem müssen alle Mitgliedsstaaten jedes Jahr Erhebungen durchführen, um mögliche neue Infektionsherde zu entdecken.
Erklärtes Ziel ist es aber auch, aus dem Krisenmodus herauszukommen und bessere, wissenschaftlich fundierte Strategien für den Umgang mit dem Bakterium zu entwickeln. Zwischen 2022 und 2026 steckt die EU dazu rund sieben Millionen Euro in ein großes Forschungsprojekt namens „Beyond Xylella“. Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa arbeiten darin an den unterschiedlichsten Fragestellungen rund um den Erreger, seine Überträger und seine Opfer.
In Italien zum Beispiel läuft seit 2021 ein Projekt zur Ausbildung von speziellen Xylella-Spürhunden. Mit ihren feinen Nasen können die vierbeinigen Fahnder infizierte von gesunden Pflanzen unterscheiden – selbst wenn die Gewächse noch gar keine äußerlich sichtbaren Symptome zeigen. Die Idee ist also, eine Spezialeinheit von erfolgreichen Schnüfflern aufzubauen, die in Baumschulen oder an Flughäfen und Häfen die Ware kontrollieren können.
Andere Projektpartner untersuchen derweil, wie sich Xylella-resistente Olivensorten züchten lassen. Oder wie man die Überträger des Bakteriums am besten bekämpft. Gibt es vielleicht natürliche Gegenspieler, die man gegen die kleinen Pflanzenvampire in Stellung bringen könnte? Tatsächlich haben Fachleute bereits ein paar mögliche Verbündete identifiziert.
Ein Team um Meelad Yousef-Yousef von der Universität Cordoba in Spanien setzt zum Beispiel auf bestimmte Pilze, die in Pflanzen leben und Insekten krank machen können. Zwei Varianten der Arten Metarhizium brunneum und Beauveria bassiana hatten sich schon bei der Bekämpfung anderer kauender und saftsaugender Schädlinge bewährt. Nun sollten sie im Labor gegen die Wiesenschaumzikade antreten.
Zunächst haben die Forscher getestet, wie giftig die Pilze sind, wenn man sie direkt auf die Insekten sprüht. Tatsächlich tötete der erste Kandidat die Hälfte der Zikaden, der zweite immerhin fast ein Drittel. Es genügt aber auch, wenn man die Pflanzen damit behandelt, haben die anschließenden Versuche mit Gemüse-Gänsedisteln gezeigt: Vor allem Metarhizium brunneum siedelte sich in diesen Gewächsen sehr erfolgreich an und wirkte auch effektiv gegen die saugenden Angreifer. Deshalb sehen die Forscher in dieser Variante ein großes Potential für neuartige Bekämpfungsprogramme.
„Beyond Xylella“ soll auch dazu beitragen, dass solche neuen Forschungsergebnisse möglichst schnell den Schritt vom Labor in die Praxis schaffen. Immerhin ist im Rahmen des Projekts ein Netzwerk aus mehr als 40 Forschungsinstitutionen, Regierungsstellen, Landwirtschaftsver-bänden und anderen Interessierten entstanden, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: Europas Nutz- und Wildpflanzen vor einem hoch gefährlichen Erreger zu schützen. Es ist ein Wettlauf, den sie unbedingt gewinnen wollen. Doch einfach wird das nicht. Zumal immer neue Herausforderungen auftauchen. So wurde einer der bekannten Xylella-Vektoren aus Nordamerika, eine Schmuckzikade namens Draeculacephala robinsoni, 2021 auch in Spanien und Frankreich entdeckt. Die Gegner schlafen nicht.