Langsam, fast gemächlich setzt sich der Shuttle-Zug aus Niebüll in Bewegung, bis die Landschaft in gleichmäßigem Tempo an einem vorbeizieht. Ich rieche schon das salzige Meer, entgleite langsam dem Rest der Welt und freue mich auf die Stelle, an dem das Festland aufhört und der Hindenburgdamm beginnt. Hier, mit den magischen Minuten zwischen Himmel und Nordsee, die es so nirgendwo sonst auf der Welt gibt, beginnt für mich jedes Sylt-Erlebnis. Hier, zwischen Festland und Insel, erlebt man Wolken- und Lichtspiele in der Weite, die den Gedanken freien Lauf lassen. Ein wunderbarer Vorgeschmack auf das, was Sylt zu bieten hat und ein Grund mehr, sich ganz bewußt für die Anreise mit der Bahn zu entscheiden – selbst wenn man aus München kommt.
Von Westerland aus bringt mich das Taxi nach Süden, während die Sonne sich erfolgreich ihren Weg durch die Nordseewolken kämpft. Zur Rechten der Dünengürtel, der sich in Nord-Süd-Richtung an der knapp 38 Kilometer langen Küste entlangzieht, zur Linken das Rantumbecken mit einer der größten ornithologischen Artenvielfalt Norddeutschlands. Nach weniger als zehn Minuten Fahrt, kurz vor der Rantumer Feuerwehr, biegt man rechts in den Sandwall ein und sieht gleich nach der ersten Kurve den Söl’ring Hof, der mitten in der Rantumer Düne seine Gäste unter reetgedecktem Dach empfängt. Mehr Sylt geht kaum. Ich freue mich über mein gemütliches Dünenzimmer mit eigener, kleiner Terrasse und schätze die exklusive, nordische Klarheit des Ambientes. Doch bei aller Wertschätzung des gelungenen Interieurs, zieht es mich sofort zu dem besten Platz des Söl’ring Hofs: dem Bänkchen. Oberhalb der Hauptterrasse mit dem besten Blick auf die Nordsee steht die Bank seit Jahr und Tag und lädt zum Innehalten ein. Links und rechts schweift der Blick über die endlos scheinenden Dünen und den Strand, vor mir die Nordsee. Meine Nase riecht die Dünen und mein Gaumen bekommt ein erstes Glas Champagner, um den Moment des Ankommens perfekt zu machen. Nach einigen Minuten feinster Dünenmediation à la Söl‘ring Hof ist es Zeit, meine Lieblingsplätze auf der Insel zu besuchen. Dabei lasse ich es am ersten Tag bewusst langsam angehen und besuche zunächst den ruhigeren Osten Sylts.
Freitag 15 Uhr
Ich steige auf mein eBike und fahre zunächst am Rantumer Hafen vorbei auf dem Radwanderweg um das Rantumbecken. Dann geht es am Deich entlang Richtung Osten, bis mir der Turm der Keitumer Kirche den Weg in das wunderschöne Kapitänsdorf weist. Nirgendwo sonst auf der Insel ist die Mischung aus Ateliers, Boutiquen und vielfältiger Gastronomie so stimmig und geschmackvoll wie hier. Deshalb legt mein eBike eine kleine Pause ein, während ich mich zu einem Spaziergang durch die vielen kleinen Gassen aufmache. Schließlich endet mein Streifzug durch Keitum mit dem für mich obligatorischen Besuch in der Büchertruhe Keitum. In dieser kleinen, aber großartig kuratierten Buchhandlung gelingt es mir seit Jahrzehnten einfach nicht ohne ein Buch herauszugehen – und das mit allergrößter Freude. Schließlich wartet morgen ein Nachmittag im Strandkorb auf mich, und da darf ein gutes Buch nicht fehlen. Direkt hinter meinem Lieblingsbuchladen liegt das Wattenmeer am Keitumer Kliff und belohnt mich mit einem Blick in die Weite. Links in der Ferne der Hafen von Munkmarsch und rechts mein nächstes Ziel: Klein Afrika.
17 Uhr
Nach zwanzig Fahrradminuten erreiche ich tatsächlich die Mini-Wüstenlandschaft in einem Dünental, die einst den Spitznamen „Klein Afrika“ bekam und eines der vielen Gründe ist, das Naturschutzgebiet Morsumer Kliff zu besuchen. Als ich Morsum wieder in Richtung Rantum verlasse, schalte ich bewusst einen Gang runter – auf meinem eBike ebenso wie im Kopf – und merke: Ich bin angekommen. Vorbei an Schafherden genieße ich auf dem Rückweg die Ruhe am Deich. Diesmal geht mein Blick über das südliche Wattenmeer, an dessen Horizont ich die Silhouetten einiger Halligen erkennen kann.
20 Uhr
Zurück im Söl‘ring Hof und nach einer kurzen Pause in meinem Dünenzimmer, erwartet mich in meiner „Insel auf der Insel“ ein Abend im einzigen Zwei-Sterne-Restaurant Sylts. Der Rahmen stimmt und der Service unter der Leitung von Bärbel Ring zaubert eine authentische, herzliche Atmosphäre, die ich gerade in der Sterne-Gastronomie so oft vermisse. Man kann in die Küche schauen, wo das Team um Jan-Philipp Berner aus meist regionalen Produkten ein wirklich kreatives Menü zaubert, das den Reichtum der Region auf feinste und intelligente Weise zelebriert. Statt eines Digestif gehe ich noch einmal an den Strand, sinniere über die erlebte Kochkunst und bin einfach nur dankbar.
Samstag 10 Uhr
Nach einem herrlichen Frühstück und einem morgendlichen Strandspaziergang geht es mit meinem eBike Richtung Norden. Das Wetter meint es gut mit Sylt und bei einer leichten Brise und Sonnenschein mache ich mich auf, um einen alten Kollegen zu besuchen. Mein Weg führt mich an Westerland vorbei, aber erst einmal nach Kampen. Links, gleich bei Wempe an der Ecke, geht es hinein in den Strönwai, die berühmte „Whiskymeile“. Sehen und gesehen werden ist hier oberstes Gebot, doch Kampen erwacht gerade erst und so fahre ich in die parallel verlaufende Kurhausstraße, von der aus man einen einmaligen Blick über die Heidelandschaft hinunter zum Roten Kliff genießen kann. Ein Panorama, an dem ich mich nie satt sehen kann.
12 Uhr
Kurz vor List halte ich links an der Sylter Eismanufaktur und stelle mein Rad ab. Gleich hinter der Manufaktur erwartet mich der liebevoll restaurierte Wagen von Maurice Morell und seinen „Sylter Suppen“. Seit 2018 hat sich mein ehemaliger Kollege aus Werbeagenturzeiten seinen Traum erfüllt und serviert für eine stetig wachsende Fangemeinde allerfeinste Suppenkreationen. Als „Fine Dining auf Bordsteinkantenniveau“ beschreibt er selbst sein stets frisch zubereitetes Angebot, das man in aller Ruhe an einem der Tische hinter seinem Suppenwagen in den Dünen genießen kann. Doch viele Gäste kommen allein wegen des Gastgebers, denn Maurice strahlt genau die Freude aus, die ihm sein jetziges Lebenskapitel bereitet – und das ist ansteckend. Gestärkt geht es zu einem weiteren Lieblingsplatz auf der Insel, dem Ellenbogen. Hier endet Deutschland an seinem nördlichsten Punkt und gibt den Blick frei auf die dänische Insel Rømø.
14 Uhr
Wo stehen die besten Strandkörbe der Republik? Natürlich ganz in der Nähe der Buhne 16! Ausgestattet mit Buch und Sonnencreme fehlt mir zu meinem Glück nur noch ein Stück Kuchen und ein Cappuccino, die ich mir bei der extrem entspannten Buhne-16-Crew hole. Die Strandbar ist seit Jahrzehnten ein Klassiker und die beste Adresse auf Sylt, wenn man sich direkt an der Nordsee mit kleinen und großen Köstlichkeiten verwöhnen lassen möchte. Alles kann, nichts muss – aber irgendwo auf der Welt ist bestimmt schon Rosé o‘clock, oder?
17 Uhr
Zurück in Kampen geht es direkt in die Alte Dorfstraße 4 zu meiner Lieblingsboutique Falk. Hier gibt es die beste Auswahl an unprätentiöser, aber eleganter Casual-Fashion für Männer. Wie immer habe ich die Qual der Wahl und wie immer gehe ich danach noch in die Ladenzeile auf der anderen Straßenseite, um bei Friendly Hunting oder in der Label Kitchen kleine Accessoires für die Daheimgebliebenen zu erstehen. Dann geht es zurück zum Söl‘ring Hof für eine kurze Pause auf meiner kleinen Dünenterrasse.
21 Uhr
Den Dorfkrug kenne ich, seit ich vor über 30 Jahren auf die Insel kam, und war wie viele andere entsetzt, als die Institution nach Jahrzehnten plötzlich geschlossen wurde. Thomas Samson und seiner Frau Anne Floto ist es zu verdanken, dass der Dorfkrug im Dezember 2016 wieder seine Türen öffnete. Komplett, aber intelligent renoviert, präsentiert sich das Restaurant seit Jahren mit deutlich urbanerem Flair, ohne jedoch seinen friesischen Charme verloren zu haben. Der Laden brummt, aber der Service ist perfekt organisiert und wunderbar unkompliziert. Ich entscheide mich für das klassische Lammfilet und bin im siebten Himmel. Ob ich noch spontan zu Peter ins Rote Kliff gehe, der direkt nebenan als bekanntester DJ der Insel Hof hält?
10 Uhr
Die Sonne scheint schon lange und auch ich habe es tatsächlich an den Strand vor dem Söl’ring Hof geschafft. Mein Plan: Ein kurzes Bad in der Nordsee soll meine platt getanzten Füße kurieren und die Lebensgeister wieder wecken.
12 Uhr
Meine letzte Tour führt mich nach Hörnum, dem südlichsten Ort der Insel. Kurz vor dem Ortseingang biege ich links in die Norderstraße Richtung Jugendgästehaus «Möwennest» ein. Dort folge ich dem Weg die Düne hinauf, entlang eines rostigen Zaunes und oben angekommen lädt eine Holzbank zum Verweilen ein.
15 Uhr
Meine 48 Stunden auf der Insel neigen sich dem Ende zu. Langsam setzt sich der Zug in Bewegung und die zwei Tage auf Sylt fühlen sich fast wie eine ganze Woche an. Der Zug passiert Morsum, fährt über den Hindenburgdamm und bietet mir zum Abschied noch einmal ein fantastisches Schauspiel aus Wasser, Watt und Licht. Ob ich wiederkomme? Am liebsten schon nächstes Wochenende.