KUNST & DESIGN

Ausgezeichnet jung

Der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e. V. vergibt jährlich den ars viva-Preis für Bildende Kunst. Die Werke der drei Preisträger sind jetzt im Haus der Kunst zu sehen. Alle drei Künstler verhandeln in ihrem Schaffen aktuelle Ereignisse von politischer, ökologischer und sozialer Brisanz.
Autor: 
Sonja Still
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Ausgezeichnet jung

Leyla Yenirce wurde 1992 in Qubin, Kurdistan geboren studierte an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Ihre Arbeit wurde bereits mehrfach mit Preisen gewürdigt, wie z. B. dem Bundespreis für Kunststudierende und sie ist Stipendiatin des Begabtenförderungswerkes der Heinrich-Böll-Stiftung.


Die Videoarbeiten, Installationen und Performances von Leyla Yenirce setzen sich mit vielschichtigen Aspekten und Themen wie kulturellen und medialen Dominanzstrukturen auseinander. In München zeigt sie:


„Holy“

In Leyla Yenirces Klanginstallation Holy Water (2023) entfaltet sich ein sphärisches Crescendo, das durch den Körper ins Bewusstsein gelangt. Fortdauernde traumatisch--historische Ereignisse werden in eine ergreifende Wahrnehmungserfahrung trans-formiert. Das Werk basiert auf einem BBC-Interview, das in Lalisch aufgezeichnet wurde, dem heiligen Tempel der Jesiden im Nordirak. Die Hüterin der heiligen Kaniya Sipi Quelle unterzieht hier Frauen und Mädchen einer Wiedertaufe, die den seit 2014 vom sogenannten Islamischen Staat durchgeführten Genozid überlebt haben. Durch das Ritual werden sie wieder zu Jesidinnen, nachdem ihnen sonst ein Ausschluss aus der Gemeinschaft drohen würde aufgrund der an ihnen verübten sexuellen Gewalt. In dem Ritual der Reinigung und Heilung schwingt sowohl die jüdische Tradition der Mikwe mit als auch die der christlichen Taufe von Jesus durch Johannes den Täufer. Entstanden ist es jüngst während des Genozids, um den körperlich und seelisch Versehrten Erholung zu verschaffen.

Yenirce nähert sich diesem Ritual aus einer klanglichen Perspektive: Aus vorgefundenem Sound-Material steigen helle Synthesizerklänge und manipulierte Feldaufnahmen auf. Die virtuose Komposition verschiedener Klangschichten zerschmettert hierarchische Narrative zugunsten eines transzendentalen Erlebnisses, das die Reinigung und Überwindung von Traumata vermittelt und zugleich dessen Grenzen hinterfragt.


Paul Kolling wurde 1993 in Kandel in Rheinland-Pfalz geboren und studierte Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin und an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Er nahm bereits an zahlreichen Ausstellungen teil, darunter im The Shed, New York, im Kunstverein in Hamburg, im Deutschen Pavillon der 17. Internationalen Architekturbiennale in Venedig. Aktuell sind seine Arbeiten im Weltmuseum Wien, AT, sowie im Zuge der Beijing Art and Technology Biennale im CAFA Art Museum in Peking, CHN, zu sehen. Die künstlerische Arbeit von Paul Kolling zeichnet sich durch technologie- und recherchebasierte Projekte aus, in welchen er aktuellen Fragen zu Ökonomie, Ökologie sowie Infrastruktur nachgeht. In München zeigt er sein Werk


„Energy“

Paul Kollings raumgreifende Installation und sein gleichnamiger Film Energy (2023) widmen sich der undurchsichtigen Preisbildung am Energiemarkt und der darüber geführten öffentlichen Debatte, die sich mit dem aktuellen Krieg in Europa brisant zugespitzt hat. Kolling geht es nicht um eine rein wissenschaftliche Untersuchung, sondern vielmehr um den gesellschaftlichen, hochemotional geführten Diskurs, dem die einer nüchternen Verwertungslogik folgende Wirtschaft gegenübergestellt wird. Das zweiteilige Werk verweist auf die sichtbare wie zugleich unsichtbare Architektur der Europäischen Energie Börse (EEX). Dieser real existierende Schauplatz der Börse wie auch die Prozesse der Energiepreisbildung sind einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Ihre Rolle ist von der Wirtschaft sowie von Journalisten, Experten und Aktivisten gleichermaßen stark umstritten. Kollings monumentale Textil-Konstruktion zeigt die drei Fensterfronten der Hauptetage der EEX im 23. Stock des Leipziger City-Hochhauses. Gemäß der geografischen Ausrichtung des Gebäudes ragt die Installation in den Raum hinein, gleich einer verstörenden Intervention. Der zugehörige Film deckt mit der Gegenüberstellung von Interviews unterschiedlicher Akteure absurde Widersprüche auf und formuliert grundsätzliche wirtschaftsethische Fragen zum gegenwärtigen Kampf um Ressourcen.


Shaun Motsi wurde 1989 in Harare in Zimbabwe geboren. Er studierte an der Städelschule in Frankfurt am Main und gewann 2020 den Sammlung Pohl Absolventenpreis sowie den Colliers International Rundgang-Preis der Städelschule. Seine Arbeiten waren bereits in einigen Gruppenausstellungen zu sehen. Einzelausstellungen hatte er bei Page NYC, New York oder bei PSM, Berlin. Anhand von Malerei, Installation und Text untersucht er die Frage, wie Wissen und Informationen über zeitliche und geografische Räume konstruiert, vererbt und angeeignet werden. In München zeigt er sein Werk


„Masters“

Mit Masters treibt Shaun Motsi die Untersuchung zeitgenössischer visueller Kultur weiter voran, besonders im Hinblick auf die Produktion und Distribution von Bewegtbildern in einer zunehmend digitalisierten, post-pandemischen Welt. Seine Videoarbeit eignet sich das „Talking Heads“-Format an und widmet sich dem aktuellen Unterhaltungs-Genre der populären Lehrfilme auf Online-Video-Plattformen. Eines Tages erhält Mr. Clarke, ein im Ruhestand lebender Schwarzer unabhängiger Filmemacher, eine Einladung von einer umstrittenen Online-Edutainment-Plattform namens Masters. Die Zusammenarbeit gerät aus den Fugen, als die kompromisslose Agenda des Start-ups, das finster entschlossen ist, Bildung zu destabilisieren und radikal umzudefinieren, die Protagonisten zwingt, ihr Verhältnis zu Wissen, Studium, Gemeinschaft und der sich ändernden Landschaft institutionalisierten Lernens neu zu bewerten. Inspiriert vom Independent- und New-Wave-Kino wie auch in den sozialen Medien generierten Inhalten, lässt Motsi aus Aspekten von Comedy, Thriller, Horror und Drama eine Filmstruktur erwachsen, die in kritischer Anlehnung an cineastische „Heldenreisen“ radikal gekürzt in einen mini-epischen Kurzfilm von herausfordernder Geschwindigkeit mündet. Motsi analysiert und kritisiert Prozesse von Wissensbildung, insbesondere wie Institutionen und deren Möglichkeiten des Lernens definiert sind, wer wie Zugang zu Bildung hat bzw. es weitergegeben wird. Motsi schafft damit wegweisende Denkräume für neue gesellschaftliche Strukturen.


Ausstellung im Haus der Kunst: „Holy. Energy. Masters” – ars viva 2023

vom 5. Mai bis 9. Juli 2023

Prinzregentenstraße 1, München
www.hausderkunst.de

Über den ARs viva-Preis

Der Preis ist in diesem Jahr mit Ausstellungen im Goethe-Institut Paris und im Haus der Kunst in München verbunden. Die Künstlerinnen und Künstler erhalten ein Preisgeld in Höhe von je 5.000 Euro. Darüber hinaus gibt der Kulturkreis einen zweisprachigen Katalog heraus, der im Kerber Verlag erscheinen wird. Die Jury kürte die Preisträger aus 43 vorgeschlagenen Künstlerinnen und Künstlern unter 35 Jahren. Die Ausstellung des Haus der Kunst München entstand in Zusammenarbeit mit dem Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. und mit Unterstützung der Kanadischen Botschaft. Der ars viva-Preis wird seit 1953 vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. jährlich an junge, in Deutschland lebende Künstler vergeben. Es wurden seitdem mehr als 350 Personen geehrt, darunter Künstler wie Katharina Sieverding, Rosemarie Trockel, Candida Höfer, Thomas Ruff, Wolfgang Tillmanns, Thomas Struth, Georg Baselitz, Jeanne Faust, Omer Fast und Mariana Castillo Deball. Weitere Infos zum ars viva-Preis unter arsviva.kulturkreis.eu